4 5 mario gutto los 11, seite 17 wie bist du zur malerei gekommen? meine großmutter war geschichtslehrerin. nach ihrer pensionierung hat sie einen kunst- kurs besucht und verbrachte dann alle nach- mittage zu hause mit malen. da sie nicht mehr laufen konnte, war die malerei ihre therapie. auch ihr bruder war maler. als ich klein war, habe ich oft zugesehen – ich war einzelkind und hatte ich immer viel zeit. ich war neugierig und wollte helfen. mein onkel hat mich dann an die malerei herangeführt. aber die bildende kunst betrieb ich lange nur parallel zu meinem eigentlichen beruf als schauspieler. als ich nach berlin kam, konzentrierte ich mich stärker aufs malen, weil es dabei keine sprachbarriere gab. unterscheidet sich das deutsche vom brasilianischen kunstverständnis? ich denke, dass es in brasilien immer noch sehr schwer ist, allein vom kunstschaffen zu leben – obwohl das land eine starke kultur hat. es gibt einfach ein bildungsdefizit, wo- durch vielen menschen der zugang zu kunst verschlossen bleibt. viele wachsen auf, ohne auch nur einen fuß in ein museum gesetzt zu haben. in ländern mit hohem bildungs- niveau lernen die menschen, die rolle von kunst in der gesellschaft zu verstehen. ich hatte das große glück, in brasilien einige ganz herausragende künstler kennenzu- lernen, für die es allerdings noch immer sehr schwer ist, von ihrem schaffen auch zu leben. in deutschland haben viel mehr menschen einen zugang zur kultur; daher ist die zahl derer viel größer, die kunst schätzen und sich für ihre ursprünge interessieren. das gilt auch für den vergleich mit anderen zeiten. wo siehst du unterschiede im lgbti-leben, wenn du brasilien und deutschland vergleichst? freiheit und respekt. das sind die wörter, die für mich schwules leben in berlin definieren. in berlin zu leben, ist ein traum für einen schwulen mann: du kannst sein wie du bist, gehen wohin du möchtest, musst nicht um deine sicherheit, deine gesundheit oder dein soziales leben bangen. es ist ein ort, an dem schwul zu sein normal ist. in brasilien herrscht noch immer ein enormer moralismus. homophobie ist weit verbreitet. wir sind in dieser hinsicht noch immer ein entwicklungsland und die akzeptanz von homosexuellen in der gesellschaft muss sich erst noch entwickeln. andererseits sehe ich, daß es in berlin viel mehr schwule gibt, die allein sind, ohne fam- ilie, depressiv, drogenabhängig, seropositiv. da stelle ich mir die frage: hilft so viel freiheit wirklich? natürlich trifft jeder seine eigenen entscheidungen, aber einflüsse von außen sind stark und wirken in die zukunft hinein. wenn alles erlaubt ist, gehen auch werte ver- loren. freiheit kann ein gefängnis sein, wenn man sie falsch nutzt. das schwule leben in berlin kann dir mit einer hand alles geben und mit der anderen alles nehmen. das kann überall auf der welt passieren, aber es ist der einfache zugang, der die statistik nach oben treibt. k ü n stlerportrait 45